Veröffentlicht inHerzerwärmende Geschichten, Tiere

Kaufhaus-Löwe wird in Wildnis ausgesetzt.

Die Höhle des Löwen

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Heutzutage scheint es undenkbar, ein wildes Tier, etwa einen Leoparden oder einen Tiger, als Haustier in der Stadt zu halten. Es widerspricht jedem Instinkt und jedem Drang nach Freiheit, dem das Geschöpf folgen möchte.

Doch das war nicht immer so, ganz im Gegenteil. Ende 1960er Jahre war es im exklusiven Warenhaus „Harrods“ in London gang und gäbe, der Kundschaft wilde Tiere zu vermitteln – die Nachfrage war sogar so groß, dass das Kaufhaus im Herzen der englischen Hauptstadt seine eigene Zooabteilung hatte. Hier konnte man jedes Geschöpf bekommen: Leoparden, Papageien, Bären, einmal sogar einen Elefanten.

Youtube/Sam Meddoui

Es war völlig legal, als Privatperson diese Tiere in der Großstadt zu halten. Erst 1976 trat ein Gesetz in Kraft, das den freien Verkauf bedrohter Arten einschränkte. Doch zurück in die 1960er: Im November 1969 warb Harrods für seine zwei neuen „Angebote“. Es gab zwei kleine Löwen zu kaufen: Martha und Marcus, die Nachkommen von Zoolöwen.

Ein Löwe war genau das exotische Haustier, das zwei junge Männer aus Australien sich wünschten. John Rendall und Ace Bourke bewarben sich bei Harrods um den kleinen Marcus und konnten die derzeitigen Besitzer davon überzeugen, dass sie als Halter geeignet waren.

Sie kauften das Löwenjunge für 250 Guineen, was heute etwa 3.000 britische Pfund (etwa 3.412 Euro) entspricht. Keiner der beiden hatte irgendeine Erfahrung mit der Haltung und Pflege von Großkatzen. Sie bewohnten gemeinsam eine Stadtwohnung und überredeten einen Ladenbesitzer im selben Haus, den Löwen, den sie in Christian umtauften, im Keller leben zu lassen.

Die späten Sechziger waren natürlich eine verrückte Zeit, ganz besonders in London. Aber selbst damals hielten all ihre Freunde die beiden Männer für durchgedreht und verantwortungslos. Ein Löwe in der Großstadt, das konnte einfach nicht gutgehen.

Youtube/Sam Meddoui

Der Keller des Ladens war zum Glück sehr groß und mit vielen Holzkisten und alten Möbeln gefüllt, zwischen denen das Jungtier herumschleichen, spielen und sich verstecken konnte. John und Ace nahmen ihn regelmäßig mit sich, wenn sie ausgingen oder mit ihren Freundinnen ans Meer fuhren.

Doch Christian blieb natürlich nicht klein. Er wuchs heran und im Alter von 6 Monaten fraß er bereits 3 Kilo Fleisch pro Tag. Zum Glück hatte der Löwe viele Bewunderer, die seinen Menschen bei der Versorgung unter die Arme griffen. Doch die Kosten für seine Haltung stiegen immer weiter an.

John und Ace hingen innig an ihrer Riesenkatze, sahen aber auch, dass sie da ein Raubtier vor sich hatten, das früher oder später seinen Instinkten folgen und jemanden verletzen würde – ganz gleich, wie sehr Christian seine Menschen auch liebte. Der Großstadtdschungel ist einfach nicht der richtige Ort für einen Löwen.

Schließlich siegte bei den beiden die Vernunft. Sie wollten die Großkatze aber nicht in einen Zoo bringen, er sollte in Freiheit leben können. Der Zufall half ihnen und ihrem Löwen aus der Not: Die Filmstars Bill Travers und Virginia McKenna erschienen in dem Möbelgeschäft ihres Hauses, um dort einzukaufen. Die beiden begegneten dort auch dem Löwen Christian. John und Ace nutzten die Gelegenheit und baten sie um Hilfe. Travers und McKenna waren dafür bekannt, sich für den Schutz wild lebender Löwen in Afrika einzusetzen – sie waren sofort bereit zu helfen und versuchten, eine Übersiedlung des Vierbeiners nach Kenia zu realisieren.

Dank der Hilfe von Virginia McKenna verbrachte Christian auch jetzt schon immer mehr Zeit auf dem Land, in immer größeren Gehegen. John und Ace wussten, dass sie nur noch wenige Wochen mit Christian haben würden. Sie kündigten beide ihre Jobs und verbrachten jede freie Minute mit ihrem vierbeinigen Freund.

Youtube/Sam Meddoui

Nach zähen Verhandlungen stimmten die kenianischen Behörden schließlich der Einreise des jungen Löwen zu. Er war inzwischen 10 Monate alt und es war wirklich höchste Zeit. Die beiden Filmstars waren unterdessen mit George Adamson in Kontakt getreten, der darauf spezialisiert war, in Gefangenschaft aufgewachsene Löwen auf ein Leben in der Wildnis vorzubereiten. Er willigte ein, mit Christian zu trainieren.

Seine Umgewöhnung war ein riskanter Prozess. Er musste zum ersten Mal mit anderen Löwen zurechtkommen, die ihm zunächst mit Misstrauen und Aggression begegneten. Wie durch ein Wunder lernte Christian, sich den stärkeren Tieren unterzuordnen. Er wurde akzeptiert und war in seinem neuen Rudel angekommen.

Beruhigt, aber voller Abschiedsschmerz, reisten John und Ace nach London zurück. Sie blieben in stetigem Kontakt mit Adamson, der ihnen berichtete, wie Christian erfolgreich in die Wildnis entlassen wurde und dort gut zu überleben verstand.

Nach einem Jahr hielten es die beiden Männer jedoch nicht mehr aus. Sie wollten sich mit eigenen Augen davon überzeugen, wie es ihrem Löwen ging. Sie reisten erneut nach Kenia – und als der erwachsene Christian seine beiden Lieblingsmenschen durch sein Revier laufen sah, stürmte er auf sie zu, sprang ihnen in die Arme und begrüßte sie voller Wiedersehensfreude. Er hatte sie tatsächlich nicht vergessen.

Youtube/Sam Meddoui

Im Jahr 1972 sahen John und Ace ihren Löwen noch ein letztes Mal. Er hatte inzwischen sein eigenes Rudel, und auch von den Tieren, die bei ihm waren, griff keines die beiden Männer an. Sie gehörten zur Familie.

Youtube/Sam Meddoui

In freier Wildbahn können Löwen bis zu 14 Jahre alt werden. Christian hat seine verbleibende Zeit in der Freiheit und unter seinesgleichen verbracht – heute erinnern sich John, Ace, Virginia und viele andere Menschen, die das Glück hatten, ihn zu treffen, an die gemeinsame Zeit und an seine unverwechselbare Persönlichkeit.

Seine ganze wunderbare Geschichte wurde mit viel originalem Filmmaterial von damals in einem Dokumentarfilm zusammengefasst (auf Englisch):

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Was für eine ganz besondere Beziehung zwischen Mensch und Tier. John und Ace waren vielleicht unbesonnen, als sie sich einen jungen Löwen ins Haus holten – aber sie haben das Richtige getan und sich ihm letzten Endes doch noch als würdige Freunde erwiesen.

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